Valerie Rott (2014). Wahrheitsspiele der Pathologisierung im klinisch-psychologischen und psychiatrischen Diskurs über die sogenannte Geschlechtsidentitätsstörung.
Die vorliegende Diplomarbeit beschäftigt sich mit der gegenwärtigen Pathologisierung von Transgender im klinisch-psychologischen und psychiatrischen Diskurs. Als Manifestationen dieser stellen die Existenz der Diagnose ‚Geschlechtsidentitätsstörung’ im DSM-IV-TR und in der ICD-10 sowie das Prozedere der Begutachtung und Kontrolle – welchem sich Personen, die eine operative Geschlechtsangleichung vollziehen möchten, in Österreich zu unterwerfen haben – die Ausgangspunkte der Arbeit dar. In der Auseinandersetzung mit Foucaults Entwurf der Disziplinar- und Normalisierungsmacht werden Verbindungen zu mainstream-psychologischer Wissenschaft und Praxis gezogen sowie die Rolle von Wissenschaft in der Frage der Wahrheitsproduktion beleuchtet. Es folgt eine Auseinandersetzung mit Butlers Geschlechtertheorie – im Besonderen mit den Begriffen der Intelligibilität und Performativität – die ermöglicht, Geschlecht als gesellschaftliche, diskursiv hervorgebrachte Kategorie bzw. als Machteffekt zu verstehen. Vor diesem Hintergrund sind folgende Fragen in der empirischen Untersuchung des interessierenden Diskursstrangs handlungsleitend: Welche Strategien der Pathologisierung von Transgender sind rekonstruierbar? Wie wird die Kategorie Geschlecht gedacht? Wie gestalten sich die Regeln der Wahrheitsproduktion und welche Machtwirkungen sind rekonstruierbar? Hierzu werden Texte aus Lehrbüchern der Klinischen Psychologie und Psychiatrie kritisch-diskursanalytisch untersucht, die sich mit der ‚Geschlechtsidentitätsstörung’ beschäftigen. Beim Materialkorpus handelt es sich um Lehrbücher, die gegenwärtig an österreichischen Universitäten in den Subdisziplinen Klinische Psychologie und Psychiatrie in der Lehre Verwendung finden und Zugang zum hegemonialen Diskurs bieten.
Die Ergebnisse der Analyse zeigen, dass die Pathologisierung von Transgender auf einer Geschlechter- konzeption basiert, die zum einen von ‚natürlicher’ Zweigeschlechtlichkeit und Heterosexualität ausgeht und zum anderen Geschlecht in mehrere Anteile zerlegt, welche zeitlich überdauernd im Sinne heteronormativer Kohärenz ineinander aufzugehen haben, um als intelligible Geschlechter zu gelten. Als weitere Strategien wirken u.a. die Konstruktion eines ‚großen Leidens’ von Transgender Personen – welches durch die ahistorische Betrachtungsweise und die Ausklammerung einer gesellschaftlichen Einbettung des Phänomens stark individualisiert wird – die Konstruktion einer Behandlungsbedürftigkeit, die Passivierung von ‚Betroffenen’ sowie Mechanismen der Anormalisierung. Dies geschieht im Rahmen der Entfaltung eines objektiv gerahmten wissenschaftlichen Diskurses der ‚Wahrheit’, dem ein subjektiv gezeichneter ‚Betroffenendiskurs’ der Wahrnehmung gegenüber gestellt wird. Am Beispiel der Untersuchung des Diskurses über die sogenannte Geschlechtsidentitätsstörung wird verdeutlicht, welch’ zentrale Rolle psychologischer und psychiatrischer Wissenschaft im Macht-Wissen-Komplex zukommt.