Lisa Wanner (2015) Hier bin ich Geschlecht, hier darf ich sein. Diskursanalyse zur Inter*-Debatte des Deutschen Ethikrates.
In den letzten Jahren werden Debatten um Inter* (auch als Intergeschlecht bezeichnet) in der breiten Öffentlichkeit lauter; Aktivist*innen und Interessensvertreter*innen bemühen sich seit Langem um Aufmerksamkeit im Zusammenhang mit erlebter Verletzung und Diskriminierung. Vor allem an geschlechtsnormierenden sozial-rechtlich-medizinischen Praktiken wurden und werden Kritiken laut. Ende 2010 wurde von der Deutschen Bundesregierung der Auftrag an den Deutschen Ethikrat vergeben, eine Stellungnahme zu Inter* zu erarbeiten; diese Stellungnahme dient als Grundlage der vorgelegten kritischen Diskursanalyse.
Das Unbehagen, das den Ausgangsort der Betrachtungen bildet, gründet auf der Art und Weise, wie im Kontext dieser ethisch-moralischen Debatte die Themen Geschlecht, Geschlechtskörper und Handlungspraktiken bzw. (Zugriffs-)Rechte um diesen Körper verhandelt werden. So präsentiert sich die Debatte auf den ersten Blick ›differenziert‹ oder gar ›kritisch‹, indem die Zweigeschlechternorm und der aktuelle (v.a. medizinisch-rechtliche) Umgang mit Inter* in Frage gestellt oder problematisiert werden. Gleichzeitig stecken in den tieferen Verästelungen Setzungen bzw. werden Strategien reproduziert, die (geschlechts-)normierende Praktiken überhaupt erst hervorbringen. Es erzeugt sich über die sprachliche Darstellung eine Reduktion von Personen und Situationen, was wiederum eine Objektivierung von Personen ermöglicht bzw. erleichtert, indem Prozesse zugunsten einordenbarer Parameter eingefroren werden. Objekte sind unbeweglich, passen in Register, sind Teil einer Ordnung und als diese Ordnung viel leichter greif- bzw. beherrschbar. Diese Reduktion oder Verarmung zeigt sich im Zusammenhang mit Geschlecht immer noch deutlich als eine Reduktion auf körperliche und als ›eigentlich‹ oder ›natürlich‹ dargestellte Eigenschaften. Das sogenannte ›wahre Geschlecht‹, um einen Begriff Michel Foucaults zu bemühen, wird somit nach wie vor als körperliches und als solches auch als bipolar (männlich-weiblich) hergestellt. Auch ist das Subjekt nur als vergeschlechtlichtes Subjekt, und somit als in eine (Geschlechts-)Ordnung passend, als ›zugelassenes‹ Subjekt ausgewiesen.
Detailliertere inhaltliche Beschreibung
Intergeschlechtlichkeit – oder Inter*, wie die Autorin lieber schreibt[1] – war bis vor kurzem ein ausgesprochen randständiger, weitgehend unbekannter Begriff. In den letzten Jahren hat die öffentliche Diskussion zugenommen, Inter*bewegungen sind stärker medial präsent, nicht zuletzt im Rahmen filmischer oder anderer künstlerischen Auseinandersetzungen. Neben der rechtlichen Diskriminierung wird dabei vor allem die Übergriffigkeit der gängigen Praxis von medizinischen Eingriffen an Menschen mit ›Inter*-Diagnose thematisiert. Denn bei diesen liegen in den wenigsten Fällen gesundheitliche Bedrohungen vor und die dennoch verbreitet im Säuglings- und frühen Kindesalter vorgenommene Geschlechtszuweisung, die mit massiven chirurgischen und hormonellen Eingriffen verbunden ist, wird von Inter*Verbänden und -AktivistInnen massiv kritisiert. Ende 2010 wurde dem Deutschen Ethikrat im Auftrag der Deutschen Bundesregierung die Aufgabe übertragen, eine umfassende Stellungnahme zu ›Intersexualität‹ abzufassen, um eine Grundlage für das weitere Vorgehen der Regierung zu schaffen. Hintergrund des Auftrags war die Aufforderungen zweier Ausschüsse der United Nations[2] an die Deutsche Bundesregierung, sich mit Menschenrechtsverletzungen an Inter* Personen auseinanderzusetzen. Der Deutsche Ethikrat initiierte daraufhin ein mehrstufiges Diskursverfahren: zunächst eine Fragebogenuntersuchung an intergeschlechtlichen Personen; danach wurden Ärzte, Therapeuten, Sozialwissenschaftler und Juristen mit einschlägiger Expertise um schriftliche Stellungnahmen gebeten. Weiters kam es zu einer öffentlichen Anhörung von ‚Menschen mit Intersexualität‘ und Experten verschiedener Fachrichtungen. Schließlich wurde ein Online-Diskurs eröffnet, um einen wechselseitigen Austausch von Betroffenen und Experten in Gang zu setzen. Im Februar 2012 wurde dann die Stellungnahme des Deutschen Ethikrates zu juristischen, medizinischen, ethischen und Fragen zur ›Geschlechtszuordnung‹, ›Geschlechtsidentität‹ und Lebensqualität von Inter*Menschen veröffentlicht. Ausschnitte aus dieser Stellungnahme bilden das Zentrum der hier vorgelegten Analyse, die sich außerdem mit dem medialen Kontext und weiteren Teilen der Debatte des Deutschen Ethikrates befasst.
Je weiter sich Lisa Wanner in diese Debatte vertieft, desto größer wird ihr Unbehagen. Insbesondere ist sie darüber irritiert, mit welcher Selbstverständlichkeit sich der Diskurs als ›differenziert‹ und ›kritisch‹ darstellt (und dabei auch durchaus die Zweigeschlechternorm problematisiert), um doch im gleichen Atemzug Geschlechtlichkeit und (Geschlechts-)Körper (inklusive der Zugriffsrechte auf diese) im Rahmen tiefkonservativer Strategien und Setzungen zu verhandeln. Mit anderen Worten: Hinter der Fassade einer scheinbar hegemonial gewordenen Aufbruchsstimmung gegen die Normalität der Zweigeschlechtlichkeit wittert sie das Ressentiment des politisch Korrekten, das sich bei seinen ethischen Überlegungen letztlich immer wieder in eine aus der heterosexuellen Matrix gespeiste Tiefengrammatik zurückfallen läßt – eine vielversprechende analytische Grundhaltung.
Für die Analyse dieser also im hegemonialen Diskurs in Gang gesetzte Debatte greift Lisa Wanner auf die Kritische Diskursanalyse zu, wie sie u.a. von Sigfried Jäger in den letzten Jahrzehnten im Anschluss an die Arbeiten Foucaults methodisch gefasst worden ist. Mit Foucault werden Diskurse als Praktiken verstanden, mit denen nicht einfach vorliegende ‚natürliche‘ Gegenstände bezeichnet, sondern vielmehr systematisch ‚epistemische Dinge‘ (sensu Rheinberger) gebildet werden – die Rede vom ‚Natürlichen‘ ist hierbei inkludiert. Ziel von Diskursanalysen ist es, die Bedingungen ausfindig zu machen, die bestimmte Aussagen möglich machen; im vorliegenden Fall eröffnen sich – sobald man bereit ist, ‚Körper‘ nicht klassisch als eine ›Natur‹ zu denken, die als ontologische Konstante außerhalb des menschlichen Tuns besteht – v.a. Fragen nach der diskursiven Herstellung des Geschlechtskörpers: Wie werden Geschlechtskörper von wem auf welche Weise verhandelt?
Um diese Perspektive zu entwickeln, stellt Lisa Wanner gegen Ende des einführenden Kapitels das Körperkonzept Judith Butlers vor, das Körper und Materialität untrennbar von Kultur und Sprache denkt. Im Anschluss inspiriert Butler auch eine Kritik der Begriffe Natur und Kultur und eine – im Sinne Foucaults – genealogische Perspektive, die ›das Natürliche‹ selbst als historische Einschreibung und die naturalisierte Zwangsheterosexualität und Zweigeschlechtlichkeit als etwas durch die ritualisierte Wiederholung von Normen Konstruiertes begreift. Ein in relativ raschem Tempo vorgetragene Exegese von Foucaults machttheoretischen Überlegungen beschließt das erste Kapitel.
Im zweiten Kapitel schildert die Autorin das Methoden- und Begriffsinventar der Kritischen Diskursanalyse. Grundlegend orientiert sie sich dabei an Sigfried Jäger, ergänzt ihre Vorgehen aber auch durch Vorschläge, die sie von van Leeuwen bezieht.
Der analysierte Korpus besteht vorwiegend und aus Materialien, die im Zuge der Inter*-Debatte des Deutschen Ethikrates entstanden sind und online vom Deutschen Ethikrat zur Verfügung gestellt wurden: es handelt sich um zwei mehrstündige Anhörungen, eine Befragung von 199 Inter*Personen mittels Fragebogen und deren Auswertung, Stellungnahmen von sogenannten Expert*innen, Pressemitteilungen und schließlich um die finale, insgesamt über 200-seitige Stellungnahme des Deutschen Ethikrates. Zusätzlich zur Inter*-Debatte des Ethikrates wurden einige Ausschnitte aus dem aktuellen Online-Mediendiskurs Inter* in den Materialkorpus mit aufgenommen, um die Debatte gut verorten zu können. Es handelt sich um 19 Artikel unterschiedlichen AutorInnen aus Zeitungsportalen wie Focus Online, Spiegel Online, Zeit Online inklusive Kommentaren aus den Jahren 2007 bis 2012.
Die Debatte hat also beträchtliches Material produziert; bei der Auswahl des Analysematerials musste die Autorin dementsprechend selektiv vorgehen. Hinsichtlich des fein zu analysierenden Textes fällt die Entscheidung leicht, insofern die Stellungnahme Intersexualität des Deutschen Ethikrates sich wegen ihrer politischen Relevanz der ihr zuteil gewordenen medialen Aufmerksamkeit als diskursives Ereignis ohnehin schlecht abweisen lässt. Das für die Feinanalyse gewählte Kapitel bietet sich wiederum insofern an, als es sich explizit mit Geschlecht (dessen ›Zustandekommen‹, dem Körper, dessen Geschlechtlichkeit) befasst, also ganz eng an das Erkenntnisinteresses der Autorin herantritt. Weil sich die Auswahl des Feinanalysetextes derart deutlich ergeben hat und nicht – wie das oft in diskursanalytischen Projekten der Fall ist – von einer Strukturanalyse vorbereitet werden musste, schien der Autorin zu Recht eine solche nicht notwendig. Dennoch wollte sie nicht darauf verzichten, sich einen Überblick über im Diskurs auftauchenden Themen und deren Gewichtungen zu verschaffen. Bei diesem Themenüberblick setzt sie aber nicht wieder an der Stellungnahme des Ethikrates an, sondern an einer der vom Ethikrat veranstalteten Anhörungen. Diese Entscheidung ist zum einen damit begründet, dass das Inhaltsverzeichnis der Stellungnahme ohnehin einen recht guten Überblick über die dort verhandelten Themenfelder bietet. Sie ist weiters dem Umstand geschuldet, dass sich die feinanalysierte Stellungnahme Intersexualität ja aus der vorhergehenden Debatte entwickelt hat, für die wiederum die Anhörung typisch ist. Allerdings finden sich dort unterschiedlichere Positionen, die den Variantenreichtum der Debatte angemessener abzubilden versprechen als die Stellungnahme des Ethikrates, die einen spezifischen Ausschnitt daraus darstellt: den hegemonialen Diskurses zu Inter*. Wie sich dieser hegemoniale Diskurs im Vergleich zu dem breiteren der Anhörung reduziert und fokussiert, ergibt eine für die Analyse reizvolle Spannung im Material, die allerdings im Gang der Untersuchung nicht ganz ausgereizt wird. Immerhin kann sich die Autorin auf diese Weise punktuell für die Feinanalyse Breite sensibilisieren, weitere Fährten für diese ergeben sich aus der (auf Grund des Materialumfanges ebenfalls nur überblickshaft durchführbaren) Analyse das Online-Mediendiskurses zu Inter* und – vor allem – aus der Analyse der vom Ethikrat durchgeführten Befragung der Inter*Personen und ExpertInnen.
In ihren Analysen dieser verschiedenen Materialien geht es der Autorin grundsätzlich um das Sichtbarmachen textimmanenter ideologischer Setzungen und damit einhergehender Verwerfungen bestimmter Subjektivierungsmöglichkeiten. Dazu fokussiert sie die in den Texten auftretenden Handlungen, Akteure, epistemischen Modalitäten (d.h. mit welcher Art von Gewissheit Aussagen getroffen werden), Bewertungen, Argumentationsstränge sowie die Art und Weise, wie Ein- und Ausschlüsse von Personen zu bzw. von Gruppen vorgenommen werden.
Schon bei der Durchsicht des medialen Diskurses zeigt sich, dass die Anerkennung von inter* Personen keineswegs gleichbedeutend mit einer Abkehr von der Zweigeschlechternorm ist. Vielmehr reproduzieren die medialen Darstellungen ständig ‚Mann‘ und ‚Frau‘ als ‚biologische Tatsachen‘. Was anerkennt wird, ist zunächst und zumeist lediglich das Faktum des biologischen Andersseins. Wenn Inter* aber als das ›Andere‹ konstruiert ist, erfolgt damit parallel eine Konsolidierung der Normalität der Zweigeschlechtlichkeit, einer Normalität, welche die Marginalisierung und Stigmatisierung von Inter* wiederum mit hervorbringt. Detto setzt jede Rede von der Uneindeutigkeit der Geschlechtszugehörigkeit ein Vorverständnis von Eindeutigkeit voraus. Auffällig ist auch, dass Zahlenangaben in der medialen Darstellung von Inter* sehr präsent sind – ein Umstand, den die Autorin mit Jürgen Link als einen Ausdruck von Normalismus wertet.
Bei der Analyse der Ergebnisdarstellung der Fragebogenuntersuchung fällt auf, dass hier stark zwischen einer Gruppe mit Adrenogenitalsyndrom und der Gruppe der Intersexuellen unterschieden und dass nur letztere als gesellschaftlich unbequem attribuiert wird: so sind es fast ausschließlich »die Intersexuellen«, die sich gegen eine frühe Operation unter Einwilligung der Eltern aussprechen würden, die Diskriminierungserfahrungen angeben, die mit der personenstandsrechtlichen Zuschreibung des Geschlechts unzufrieden und überhaupt insgesamt unzufriedener sind, ja manchmal sogar Entschädigungsleistungen für die an ihnen vorgenommenen Verstümmelungen fordern. Markant ist auch die permanenten Gegenüberstellung von Expertinnen und Betroffenen bzw. die darüber stattfindende Zuweisung von relevanteren und weniger relevanten SprecherInnenpositionen.
Richtig Fahrt nimmt der Text dann ab Kapitel vier auf, in dem Frau Wanner einen Schlüsselabschnitt der Stellungnahme des Ethikrates, nämlich das Kapitel zu »Geschlechtszuordnung und Geschlechtsidentität« mit höchster sprachlicher Sensibilität feinanalysiert. Sie findet dabei zu einer eigenen Form, in der sich ihre diskursanalytischen, phänomenologischen und literarischen Talente zu einer dichten und überzeugenden Exegese steigern. Der Fokus liegt dabei darauf, wie die Stellungnahmen der Ethikexperten die Handlungspraxen von Inter*Personen ihrer Vielschichtigkeit und Lebendigkeit beraubt, indem sie diese „in einem Geschwader von Entdynamisierung, Exklusion, Reduktion und Distanzierung“ zu statischen und verwaltbaren Abstraktionen gerinnen lässt. Das geschlossene hegemoniale linguistische Korsett ist besonders an der Häufung von Verbalsubstantiven – i.e. grammatische Figuren, bei denen Verben zu Substantiven erstarren – abzulesen; dominant dabei sind v.a. Begriffe wie (Geschlechts)Zuordnung, -Einordnung, -Kennzeichnung oder -Anpassung. All diese Verbalsubstantive scheinen davon zu wissen, wie etwas ›richtig‹ ist, wie und wohin etwas ›gehört‹ – ein Ordnungshandeln, das sich zumeist in der Form des Substantivs vollzieht. Auch wenn dabei keine Instanz, kein Handelnder auszumachen ist, der diese Ordnung vollzieht bzw. in dem sich dieses Wissen versammelt und dem es zuzurechnen wäre – das Merkmal Geschlecht ist jedenfalls eingebunden in ein System, in eine von einem anonymen großen Anderen aufgestellte Ordnung, in der ihm ein Platz zugewiesen werden kann und muss. Menschliche Akteur*innen bleiben dabei unkenntlich, Verantwortlichkeiten sind nicht auszumachen; Frau Wanner arbeitet hier heraus, wie sich die medizinische Intervention sukzessive als aktive und wirkmächtige Akteur*in aufbaut und als tragende Figur des dargestellten ›Geschehens‹ respektive ›Handlungsdestillats‹ herausschält und jede sonstige AkteurIn obsolet macht. Der medizinische Eingriff bleibt jedenfalls, was den ›Handlungsursprung‹ angeht, wie sie treffend formuliert, menschenleer: die medizinische Maßnahme selbst ist die einzig explizite Akteurin. Ähnliche Impersonalisierungen betreffen auch die andere Seite, insofern medizinische (Be)Handlungen nicht an Menschen, sondern an ›Fällen‹, Körperteilen oder sonstigen metonymischen Figuren vollzogen werden
Interessant ist auch die von Frau Wanner herausgearbeitete auf der Textoberfläche omnipräsente rhetorische Geste der Huldigung einer Komplexität und Mehrdimensionalität des Phänomens Intergeschlechtlichkeit, mittels derer die dann doch transportierten althergebrachten dualen Biologismen und Vereinfachungen verschleiert und überhaupt jede empathische oder engagierte Bezugnahme verkompliziert und verwirrt wird. Frau Wanner deutet das als Teil einer Art implizite Strategie der Still- und Trockenlegung der Phänomene, bei der all das, was das menschliche Welt-Erleben vielschichtig, bewegt, mehrtönig und ungreifbar macht, sich verfestigt und seiner situativen Verfasstheit verlorengeht. Diesbezüglich offenbart der Titel des feinanalysierten Textsegments – Geschlechtszuordnung und Geschlechtsidentität – eigentlich bereits das gesamte Programm: durch Zuordnung wird Identität (im Sinne der hier verfolgten Perspektive handelt es sich dabei um einen zutiefst polemogenen Begriff) her- und festgestellt und zwar ein- für allemal, ganz besonders im Reich des Geschlechts. In der hegemonialen Matrix bedarf es der eindeutigen Zuordnung als geschlechtliches Wesen, um intelligibel – und administrierbar – zu werden.
Im Verlauf ihrer Analyse sieht sich die Autorin zudem mehr und mehr mit Paradoxien konfrontiert: die eine besteht darin, dass Inter*-Körper zwar gerne als ›anormal‹ markiert werden, dabei aber gleichzeitig den Diskurs um hegemoniale Geschlechtersysteme anfeuert. Noch mehr bewegt sie die Einsicht, dass es ausgerechnet einer Debatte, die aus der Kritik an einer gewaltvollen Handlungspraxis geboren ist, derart umfassend misslingt, dieser Kritik zu begegnen, ja dass sie in sprachlicher Form ebendiese Gewalt qua Entpersonifizierung und Entmächtigung wieder und wieder exekutiert.
Aus dem bisher Gesagten erhellt, dass hier ist ein außergewöhnlicher Text erschienen ist: zunächst einmal sind Thema und Erkenntnisinteresse aktuell und ausgezeichnet gewählt: am hegemonialen Diskurs Inter* zeigen sich gesellschaftliche Ausschlüsse derart deutlich und gewaltvoll, dass er sich als Analysefokus geradezu aufdrängt. Die Autorin eröffnet dazu einen zunächst breiten methodischen Zugang, der sich dann auf ein Schlüsseldokument fokussiert, d.h. die feinanalytische Arbeit wird aus vielen Quellen sensibilisiert und doch bleibt das Gesamtprojekt forschungsökonomisch machbar. Beeindruckend ist aber vor allem die sprachliche Sensibilität und Kompromisslosigkeit der Feinanalyse. Lisa Wanner ist als Interpretin soweit aus der Rumoren des diskursiven Getriebes ausgetreten, dass sie einige ausgesprochen heterodoxe Beobachtungen zur Reproduktion herrschaftsdienlicher Normtreue in einer durch die textliche Nähe zum analysierten Dokument kaum abweisbaren und überdies sehr eingängig zu lesenden Weise zu Protokoll geben kann. Bei all dem ist als Grundanliegen spürbar: dass sie wissenschaftliche Erkennen wieder mit verkörpertem Dasein, einem Dasein in fließenden Situationen in Verbindung bringen will – hohe Ansprüche und außergewöhnliche Fähigkeiten also, von denen zu hoffen ist, dass sie dem wissenschaftlichen Feld in irgendeiner Weise erhalten bleiben.
[1] Dies um ein ›Zwischen‹ ausdrücken, das sich einer genauen Definition entzieht. D.h sie benutzt das „*“ wie in der Informatik als Platzhalter für andere Zeichen – womit auch offen bleibt, wodurch sich dieses ›Zwischen‹ charakterisiert, was es aufrecht hält, wie es zustande kommt, worauf es sich bezieht. Durch diesen fehlenden Rekurse will das „*“ der Verstrickung in die automatische Reproduktion von Geschlechternormen ausweichen.
[2] Dies waren das Committe on the Elimination of Discrimination against Women (CEDAW) und das Committee against Torture (CAT).