Moritz Raphael Meister (2020). Sich verbiegen, ohne zu brechen. Dispositivanalyse der Resilienz-App "SuperBetter".

Psychische Resilienz, definiert als Belastbarkeit und Flexibilität unter widrigen Umständen, ist spätestens mit der Corona-Krise zu einem positiv besetzten Schlagwort der Gegenwart avanciert. Diese Arbeit gibt einen Überblick über den aktuellen Resilienz-Diskurs und seine historische Entwicklung, untersucht anschließend Resilienz von ihrer konkreten Vermittlung in einem digitalen Gestell her – der Resilienz-App ‚SuperBetter‘ – und verbindet die gewonnenen Erkenntnisse mit bestehender Literatur zu einer kritischen Analyse des Resilienz-Begriffs.

SuperBetter wird als multimediales Mikrodispositiv verstanden, das eine Antwort auf gesellschaftliche Notstände bietet und sich dabei innerhalb eines Makrodispositivs historisch gewachsener Machtverhältnisse bewegt. Das empirische Material wurde einer enaktiven Feinanalyse (Walkthrough Method) unterzogen, die sich an Leitfragen der Dispositivanalyse zur diskursiven Praxis, Subjektivierungen, Objektivationen und dem gesellschaftlichen Kontext orientiert. SuperBetter verspricht, die Resilienz seiner UserInnen zu fördern, sodass diese diverse Probleme wie Depression, Burnout oder Übergewicht als ‚Challenges’ meistern können. Gemäß der Positiven Psychologie sollen, vermittelt durch To-Do-Listen, täglich Aufgaben bewältigt, ‚positive Emotionen‘ gefördert und schlechte Angewohnheiten bekämpft werden. Dabei wird laufend ein Resilienz-Score ausgegeben. Ein Activity-Feed und eine Ally-Funktion evozieren permanente gegenseitige Sichtbarkeit. Technologische Mittel wie Mood-Tracking, visuelles Feedback und Gamification-Mechanismen forcieren die Selbstführung der UserInnen im Sinne neoliberaler Subjektivität. SuperBetter unterscheidet explizit zwischen zielgerichtet-kompetitivem ‚Game‘ und zweckfreiem ‚Play‘. Dabei wird die ganze Welt als totalisiertes Game aufgefasst; UserInnen werden als ‚Heroes‘ adressiert, welche übermenschliche Kräfte entwickeln sollen, um darin zu bestehen. Derartige Game-Prinzipien macht die Game-Prinzipien von SuperBetter auf den Arbeitsplatz umlegbar. Die Unternehmensversion ‚SuperBetter At Work‘ verspricht resilientere, agilere und engagiertere ArbeitnehmerInnen, deren ‚heroisches Potential‘ voll ausgeschöpft wird. Resilienz, wie sie von SuperBetter vermittelt wird, erweist sich als individualisierende gouvernementale Technologie des Selbst, die dazu anhält, das psychische Innenleben zu problematisieren und zu bearbeiten, während strukturelle Bedingungen ausgeblendet werden. Nicht nur tragische Schicksalsschläge, sondern auch menschengemachtes, vermeidbares Leid sind gleichermaßen zu ertragen. Resilienz kennt keine politischen oder ökonomischen Konflikte, sondern nur dauerhafte Krisen, deren Lösung im Innerpsychischen gesucht werden soll. Dies macht Resilienz attraktiv für die Mächte des Bestehenden.

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