Dieter Müller (2016). Citius, altius, fortius. Self-tracking als Regierungstechnologie.

Hintergrund: In den letzten Jahren wurden hunderte mobile Self-tracking-tools zur Aufzeichnung und Verfügbarmachung von Gesundheits-, Stimmungs- und Fitnessdaten, Schlaf- und Sexualverhalten, Ernährungsgewohnheiten, etc. entwickelt. Die Daten, die durch tragbare elektronische Interfaces generiert werden, werden oftmals auf umfassend ausgestalteten elektronischen Plattformen und Internetseiten aufbereitet. Ihr Aufzeichnen wird als Lifelogging bezeichnet, ihr Teilen in sozialen Netzwerken als Lifestreaming. Ein weiterer damit zusammenhängender Leitbegriff ist der des Quantified Self; er meint das Versprechen, auf der Basis des umfassenden systematischen Sammelns, Aggregierens, Aufbereitens, Analysierens und Interpretierens von auf Körper und Psyche bezogenen Daten zu ‚wahren' Erkenntnissen über sich selbst zu gelangen. Je mehr wir über uns selbst und unsere Körperfunktionen wissen, desto produktiver, reicher, gesünder und emotional stabiler werden wir sein, so die These. Derartige Anrufungen sind Teil jener zeitspezifischen Psychopolitik, mit der neoliberale Kontrollgesellschaften in der Verkleidung des Fortschritts- und Selbstverbesserungsoptimismus ihre Subjekte im Namen der persönlichen Freiheit regieren. Sie operiert nicht mehr mit von außen auszuübenden disziplinären Maßnahmen, sondern mittels einer Kontrolle durch Selbstbeobachtung und durch die ‚freiwillige' Übernahme des Imperativs zur Selbststeigerung, mit anderen Worten: einer Kontrolle durch Selbstkontrolle.

Die Diplomarbeit fokussiert auf drei soziale Netzwerke, Runtastic, Strava und Freeletics, die dem internetbasierten Tracking sportlicher Aktivitäten dienen. Über diese Plattformen sammeln und publizieren Anwender und Anwenderinnen ihre auf definierte Strecken bezogener Daten von Radtouren oder Laufeinheiten, um sie mit anderen Usern und Userinnen zu vergleichen und mit ihnen in Konkurrenz zu treten. Weiters stellen derartige Anbieter umfassende Trainingsprogramme zur Umgestaltung der Körperoberfläche im Sinne des Aufbaus von Muskelmasse und der Reduzierung von Körperfett zur Verfügung. Ziel: Das Erkenntnisinteresse in der vorliegenden Arbeit richtet sich daran anschließend darauf, zu analysieren, welche zeitgenössischen Formen der Subjektivierung auf Runtastic, Strava und Freeletics vorangetrieben werden, mittels welcher diskursiver und nicht-diskursiver Strategien dies bewerkstelligt wird und welche Programme der Menschenregierung sich in den sozialen Netzwerken zeigen. Die konkreten Fragen, die an das empirische Material herangetragen werden, sind: Welche Regierungstechnologien offenbaren sich an der Schnittstelle zwischen der Führung und Lenkung von Usern und Userinnen einerseits und ihrer Selbstführung andererseits? Auf welche Weise und mit welchen Strategien operieren die Plattformen, um ein bestimmtes Verhalten von Usern und Userinnen wahrscheinlicher zu machen? Welches Wissen über sich selbst oder andere forcieren Bilder und Texte? Welche Texte und Bilder werden aktiviert, um bestimmte Verhaltensweisen zu evozieren? Welche Handlungs- und Interventionsbedarfe adressieren nummerische und visuelle Selbst- und Fremdvergleiche?

Methode: Die Analysehaltung der vorliegenden Arbeit ist im Theoretischen grundsätzlich an Foucault orientiert, d.h. die untersuchten Plattformen werden als (affektive) Dispositive zur Erzeugung zeitkompatibler Subjektformen verstanden. Im Sinn einer Dispositivanalyse wird rekonstruiert, wie sich dies sowohl aus der Architektur und Struktur dieser Plattformen als auch aus den Anrufungen ergibt, die in ihren Bildern und Texten ‚stecken‘. Ergebnisse: Neben der alles durchdringenden Konkurrenzlogik, die den Plattformen maximal eingeschrieben ist, sowie den ubiquitären Gamification- und Belohnungsstrategien, zeigt sich in allen auch eine stark verdinglichte Sichtweise auf den menschlichen Körper, der ganz in die Sphäre des Werkzeuglichen und der Gebrauchsgegenstände hinübergezogen wird. Mit einer alten Unterscheidung von Plessner gesagt: Die User und Userinnen haben einen Körper und verzwecken ihn gemäß den Angaben und Anrufungen der Plattformen; Leib zu sein ist ihnen hingegen fremd (geworden). Ausgeblendet und entwertet wird grundsätzlich auch alles Situative, nur die messbare, in Zahlen verobjektivierbare Leistung zählt, nicht wie und unter welchen Kontextbedingungen sie zustande gekommen ist. Schlussfolgerung: Ein wesentlicher Aspekt der via Self-tracking-Plattformen transportierten Selbstführungstechniken ist schließlich eine Habitualisierung des Außenblicks und der freiwilligen Selbstkontrolle unter Normalisierungs- und v.a. Steigerungsimperativen.

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