Ines Röhrle

In der Therapie Alkoholabhängiger war lange Zeit die Zielvorstellung einer lebenslangen Abstinenz dominant. Doch seit einigen Jahren gewinnt ein zunächst randständiges Konzept an Einfluss innerhalb des suchtwissenschaftlichen Diskurses, daskontrollierten Konsum als Alternative propagiert und Betroffenen eine Rückkehr zu einem selbstüberwachtem Trinkverhalten nach Plan in Aussicht stellt. Ziel dieser Arbeit ist es, per kritischer Diskursanalyse nach Jäger zu erforschen, wie sich das Paradigma des kontrollierten Trinkens trotz heftiger Kontroversen aus dem Abstinenzparadigma entwickeln und herauslösen konnte.

In einem ersten Analysezyklus werden anhand von deren Internetauftritten Menschenbilder, Motive und Visionen von für den deutschen Sprachraum wesentlichen Protagonist*innen des Diskurses um kontrolliertes Trinke erfasst. In einem zweiten Analysezyklus wird mithilfe einer diachronen Betrachtungsperspektive der suchtwissenschaftliche Diskurs zu kontrolliertem Trinken von 2000 bis 2020 nachvollzogen. Dazu werden Textfragmente aus der deutschsprachigen Zeitschrift SUCHT feinanalysiert. Dabei zeigt sich, dass die Akzeptanz von kontrolliertem Trinken weniger von rational-wissenschaftlichen Argumenten als von  impliziten Menschenbildern, Ideologien und insbesondere von finanziellen Interessen abhängt. Jahrelang wird kontrolliertes Trinken in der Zeitschrift als unwirksam abgelehnt und werden antithetische Diskurse unterdrückt. Dann jedoch wird eine medikamentös gestützte Trinkmengenreduktion von der Pharmaindustrie entdeckt und Forchung in diese Richtung unterstützt. In einer überraschen kuzen Zeitspanne ändert sich auch die wissenschaftliche Mehrheitsmeinung und das Abstinenzparadigma weicht auf.

Die Autorin geht daher davon aus, dass kontrollierter Konsum das Abstinenzparadigma ablösen wird, da es einen pathologisierenden und individualisierenden Diskurs in Bezug auf Alkohol und das den Neoliberalismus bestimmende Menschenbild des autonomen, aber selbstverantwortlichen Subjektes erfolgreich verschaltet – und zudem neue Renditen verspricht.