Saša Durić (2010). Jugendliche in Mostar: Identitäten im Kontext nationaler Segregation.

Die vorliegende empirische Arbeit ist in Mostar situiert, einer 100.000 EinwohnerInnen Stadt im Südwesten Bosnien-Herzegowinas. Seit der Desintegration Jugoslawiens und dem daraus resultierenden dreijährigen Krieg in Bosnien-Herzegowina (1992-1995) gilt Mostar als zweigeteilt, zwischen (muslimischen) ‚BosniakInnen’ auf der östlichen und (christlichen)‚KroatInnen’ auf der westlichen Uferseite des Flusses Neretva. Die Segregation umfasst dabei diverse Bereiche, allen voran den Bildungssektor, wo getrennte Institutionen von den Kindergärten bis zu den Universitäten installiert worden sind.

Gestellt wird in dieser Arbeit die Frage, wie Jugendliche, die den Krieg nicht (bewusst) miterleben mussten und in eine ‚geteilte Stadt‘ hineingeboren wurden, bestehende Segregationspraktiken diskutieren und welche Umgangsformen sich diesbezüglich herausarbeiten lassen. Zur methodisch kontrollierten Beantwortung dieser Frage wurde als Erhebungsverfahren die Gruppendiskussion nach Bohnsack (vgl. z.B. Bohnsack 1992; Przyborski/Wohlrab-Sahr, 2008) und als Auswertungsmethode die dokumentarische Methode der Textinterpretation eingesetzt (ebd.). Im theoretischen Teil der Arbeit werden die zentralen Begriffe - ‚Identität‘ und ‚Nation‘ - eingeführt sowie ein geschichtlicher Überblick über Bosnien-Herzegowina und die Stadt Mostar gegeben. Der dieser Arbeit inhärente Identitätsbegriff ist angelehnt an die Arbeiten von Mead (1995), Hall (1994; 2004) und Bourdieu (1982; 1993) und ermöglicht die Unterscheidung zwischen impliziten und expliziten Identitätsanteilen. Das Konzept der Nation wird dekonstruktivistisch beleuchtet und orientiert sich u.a. an Anderson (1996), Balibar (1990), Slunecko (2008) und Mühlmann (1994).

Im empirischen Teil der Arbeit werden die Ergebnisse aus sieben Gruppendiskussionen mit Jugendlichen aus Mostar vorgestellt. Zwei Aspekte sind darin zentral: Zunächst zeigt sich der Rückgriff auf Raumvorstellungen und Raumrelationen, wenn es um die Darstellung und Aushandlung kollektiver Orientierungen im Hinblick auf nationale Segregationspraktiken geht. Mostar kann dem folgend nicht als klar umrissener, statischer Raum aufgefasst werden, in dem die Untersuchung ‚bloß‘ stattgefunden hat, sondern der städtische Raum selbst steht zur Verhandlung und über ihn werden kollektive Orientierungen artikuliert. Alle Gruppen spannen dabei mit Ost- und Westmostar (grob) zwei eigenständige Räume auf, denen auch bestimmten Gruppen von Menschen (MuslimInnen/BosniakInnen bzw. KroatInnen) zugeordnet werden. Die Umgangsformen mit diesen Räumen, ebenso wie die artikulierten bzw. geforderten Relationen zwischen ihnen und den darin verorteten Menschen unterscheiden sich aber. Herausgearbeitet und in der Arbeit näher erläutert werden vier Typen: (1) Isolierte Räume – Betreten auf eigene Gefahr, (2) Getrennte Räume – Betreten unbedenklich, (3) Raumübergreifend – Aktiv im Bereich ‚der anderen’ und (4) Okkupierte Räume – Marginalisiert in beiden Räumen.

Als zweites zentrales Thema erwiesen sich fußballbezogene Konflikte und der diesbezügliche Stellenwert der nationalen Zugehörigkeit von Spielern und/oder Fans. Vor allem Konflikte zwischen AnhängerInnen der beiden Mostarer Vereine Velež und Zrinjski wurden von den Jugendlichen thematisiert. Hier konnten zwei Typen herausgearbeitet werden, wobei innerhalb des zweiten Typs eine weitere Differenzierungen möglich war: (1) Ein Nationen belastendes Verständnis von Konflikten im Fußball und (2) ein Nationen entlastendes Verständnis von Konflikten im Fußball, wobei Entlastung durch (2.1) Entschärfung einerseits und (2.2) Ideologisierung andererseits hergestellt wurde. Neben den obigen Orientierungsfiguren, werden auch erste Hinweise auf die, den Orientierungen zu Grunde liegenden Milieus (Bildungs- und, nationales/ethnisches Milieu) gegeben.