Ulrich Krainz (2009). Zur Problematik kultureller Integration. Kollektive Orientierungen junger muslimischer Männer der zweiten Generation am Beispiel des Wehr- und Wehrersatzdiensts in Österreich.

Die vorliegende Arbeit rekonstruiert die handlungsleitenden kollektiven Orientierungen junger muslimischer Männer der so genannten zweiten Generation hinsichtlich ihrer kulturellen Integration. Im Speziellen wird dies am Beispiel des Österreichischen Bundesheers sowie des Zivildiensts untersucht.Insgesamt wurden sieben Gruppendiskussionen mit muslimischen Präsenzdienstleistenden geführt (fünf Diskussionen beim Österreichischen Bundesheer, zwei Diskussionen beim Zivildienst) und mittels der dokumentarischen Methode der Textinterpretation (Bohnsack 2008), einem Auswertungsverfahren der rekonstruktiven Sozialforschung, analysiert.

Aus dem Datenmaterial der durchgeführten Gruppendiskussionen werden zwei zentrale Orientierungsfiguren ersichtlich, die auch alle Diskussionsteilnehmer betreffen. Auf der einen Seite handelt es sich dabei um das Verhältnis zwischen ihrem eigenen religiösen Hintergrund und der vorherrschenden religiösen und kulturellen Praxis (diese Orientierungsfigur wird ‚Fremdheitsrelation in Bezug auf den religiösen Hintergrund’ genannt), auf der anderen Seite geht es um das Verhältnis zwischen ihnen als Personen mit Migrationshintergrund und jenen Österreichern, die keinen Migrationshintergrund haben (diese Orientierungsfigur wird ‚Fremdheitsrelation in Bezug auf die Herkunft’ genannt). Diese beiden Problemstellungen zeichnen sich durch ein diskriminierendes Potential aus, dass in eine Wir- und in eine Sie-Gruppe trennt. Bei diesen beiden Orientierungsfiguren zeigen sich auch unterschiedliche sinngenetische Typen, d.h. unterschiedliche Formen und Ausprägungen des Umgangs mit den jeweiligen Fremdheitsrelationen, die in der Arbeit genau dargestellt werden.

Im ersten Fall (‚Fremdheitsrelation in Bezug auf den religiösen Hintergrund’) zeigen sich sechs verschiedene Typen: (1) Religiosität als Wegweiser, (2) Religiosität als persönliche Orientierung, (3) Religiosität als Gewohnheit, (4) Religiosität als sozialer Event, (5) Religiosität als Entscheidung, und (6) Religiosität als primäre Identitätsstiftung und Aufwertung. Bei der zweiten Orientierungsfigur (‚Fremdheitsrelation in Bezug auf die Herkunft’) zeigen sich fünf verschiedene Typen: (1) Verweigerte Anerkennung von allen Seiten, (2) Aussehen als zentrales Merkmal der Zugehörigkeit, (3) Gemeinschaftlichkeit als trennendes Ideal zwischen Wir und Sie, (4) Respekt als trennendes Ideal zwischen Wir und Sie, und (5) die Notwendigkeit nicht aufzufallen.

Darüber hinaus zeigt die Studie, dass Problemfelder und Konflikte des Integrationsdiskurses nicht nur mit Eigenschaften und Merkmalen verschiedener kultureller Verhaltensweisen, sondern zu einem großen Teil mit der Sozialstruktur unterschiedlicher Institutionen zusammenhängen. Je religiöser jemand ist (d.h. je normativer seine Gebote und religiösen Regeln ausgelegt werden) umso schwieriger erweist sich auch seine Situation. Durch den systematischen Vergleich zweier Erfahrungsräume (Bundesheer und Zivildienst) wird jedoch ersichtlich, dass dieses Ergebnis auch im Zusammenhang mit dem Grad der Totalität einer Institution (Goffman 1973) zu sehen ist. Je ‚totaler’ eine Institution, desto mehr wird Religiosität in diesem Sinn zu einem ‚Problem’. Das ist beim Bundesheer im Gegensatz zum Zivildienst der Fall. Die beiden Forschungsfelder unterscheiden sich auch hinsichtlich zweier wesentlicher Aspekte. Zunächst werden junge muslimische Männer beim Bundesheer mit Erwartungshaltungen konfrontiert, die ihre soziale Identität betreffen. Da das Österreichische Bundesheer unterschiedliche Zugeständnisse (z.B. spezielle Verpflegung) für muslimische Rekruten eingeführt hat, bestehen bereits spezifische Annahmen und Fremdzuschreibungen was es heißt, ein Moslem zu sein bzw. welche Bedürfnisse muslimische Rekruten haben. Weicht das tatsächliche Verhalten der Rekruten von diesen Annahmen ab, führt das zu Konflikten. Hierbei wird eine Dialektik von Freiheit und Zwang ersichtlich, bei der nach Einführung der Zugeständnisse für muslimische Rekruten unscharf wird, ob es sich bei diesem Entgegenkommen nun um ein Recht oder doch um eine Pflicht handelt.

Des Weiteren berichten junge muslimische Männer beim Bundesheer von einem Gefühl des sozialen Ausschlusses und einer ungerechten Behandlung, sowohl seitens der Kameraden als auch seitens des Personals. Auseinandersetzungen mit den Kameraden werden als direkte Konflikte berichtet, Spannungen und Probleme mit dem Personal treten vorwiegend indirekt auf und zeigen sich in drei unterschiedlichen Formen: (1) in Form indirekter Benachteiligungen, (2) einer immer wiederkehrenden Hervorhebung des Migrationshintergrunds und (3) in Form von Verallgemeinerungen und Generalisierungen. Muslimische Rekruten zeigen sich sehr angepasst und sich unterordnend. Widerstand bzw. die Option gegen die erlebten Probleme vorzugehen, wird lediglich in Form erhöhter Selbstbestimmungsansprüche ersichtlich. Der unterschiedliche Umgang mit ihrer Situation wird in der Arbeit genau dargestellt. Die interviewten Zivildiener sehen sich weder mit Erwartungshaltungen über sich als kulturelle Gruppe, noch mit Beleidigungen oder Benachteiligungen konfrontiert, was ein konfliktfreies Arbeiten ermöglicht.